Pressemitteilung der
ZEIT Verlagsgruppe

29. Juni 2006

ZEIT Geschichte: Historiker Jean Tulard kritisiert französische Regierung

Der Historiker Jean Tulard übt im Napoleon-Jubiläumsjahr harsche Kritik an der Haltung der französischen Regierung zur eigenen Geschichte. In der aktuellen Ausgabe von ZEIT Geschichte klagt er insbesondere Jacques Chirac an. Zwar sei Napoleon bei Randgruppen von jeher verhasst gewesen, „aber im offiziellen Leben hatte er einen festen Platz“. Dies habe sich unter dem aktuellen Regierungschef geändert. Tulard in ZEIT Geschichte: „Die offizielle Geringschätzung Napoleons begann eigentlich erst mit der Präsidentschaft Chiracs – seit 1995 ignoriert er bewusst sämtliche Jubiläen.“ Tulard weiter: „Präsident Jacques Chirac und sein Premier Dominique de Villepin haben die Grundsatzentscheidung getroffen, keinerlei Siege zu feiern. Dahinter steckt viel Druck von der Linken, aber auch die ausgeprägte republikanische Überzeugung des Napoleon-Verächters Chirac.“

Dabei gelten viele Errungenschaften Napoleons auch heute noch als unumstritten: „Er hat sämtliche Grundlagen des modernen Staates geschaffen. Die von ihm errichteten administrativen Strukturen funktionierten in unserem Land bis heute,“ erklärt der Historiker. In anderen Ländern dagegen scheint der Mythos um den Feldherrn und politischen Strategen dagegen ungebrochen. Denn „immer wieder“ staune Tulard darüber, „wie groß in Asien das Interesse für Napoleon ist.“

Vergleiche von Napoleons Sklavenpolitik in den französischen Kolonien mit dem Genozid Hitlers, weist der Historiker zurück: „Das ist völliger Unsinn. Napoleon wollte zwar die Sklaven als Arbeitskräfte ausbeuten, aber er hat keinen Völkermord begangen.“ Fragt man Tulard nach der Bedeutung Napoleons als Befreier, Staatsmann, Eroberer oder Tyrann, so kennt er nur eine Antwort: „Alles zugleich.“

Silvie Rundel
Leiterin Unternehmenskommunikation und Veranstaltungen